Im November und Dezember 2022 hat die Stiftung GOLDKIND ihre Fortbildungsreihe mit zwei weiteren Themen fortgesetzt: Andrea Jobst-Heel über Borderline und Bindungen, Casy Dinsing über Narzissmus.
Narzissmus mit Casy Dinsing
Vorsicht, Schublade! Coach Casy Dinsing begann ihren Fachbeitrag zum Thema Narzissmus am 9. Dezember mit einer Warnung. Allzu schnell führen wir den Begriff “Narzisst” ins Feld, wenn wir den Eindruck haben, jemand verhalte sich egoistisch (dazu auch hier mehr). Casy erklärt, was mit dem Störungsbild “Narzissmus” eigentlich gemeint ist – und macht deutlich, dass der Oberbegriff lediglich bezeichnet, was wir an Verhaltensmustern und Symptomen vorfinden. Das Etikett für sich allein, sagt sie, nütze erst einmal nichts.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung gründet sowohl bei offenen als auch bei verdeckten Narzissten und Narzisstinnen in einem Mangel: aus dem Mangel an gesundem Selbstwert. Wer seinen Wert aber selbst nicht schätzt, ist auf Bewunderung und Bestätigung von außen angewiesen. Die einen holen sich das, indem sie großspurig auftreten und neben sich nichts gelten lassen, die anderen, indem sie besonders hilfsbedürftig auftreten. Beiden Typen gemeinsam ist, dass sie dieses Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe nicht offen äußern können. Casy Dinsing nennt den Hauptgrund hierfür: wenn ein Kind keine bedingungslose Liebe erfahre, sondern diese immer an Bedingungen und Leistung geknüpft sei.
Das passiert nicht zwangsläufig und unterliegt auch weiteren Faktoren wie der genetischen Disposition, einer grundlegenden Resilienz und dem Einfluss im Elternhaus und aus dem Umfeld.
“Das bedeutet: Es gibt auch immer die Chance, dass es gut wird!”
Casy Dinsing
Kinder narzisstischer Eltern brauchen es vor allem, dass sie gesehen werden: Das ist es, wo wir alle etwas tun können, wenn wir helfen wollen. Stärken, erstnehmen, anerkennen, bestätigen. Ihnen vermitteln, dass egal, was sie tun oder was sie können, sie okay sind.
Im Umgang mit Narzissten gelte das ebenfalls: Aufmerksamkeit geben, zugewandt bleiben. Der Narzisst selbst ist, das dürfe nicht vergessen werden, ebenfalls das Ergebnis seiner oder ihrer Erfahrungen, sagt Casy Dinsing. Wer also mit einem narzisstischen Elternteil zu tun hat, könne ruhig einmal fragen: “Wie war das denn bei dir so, als du klein warst?”
“Gefühle sind erst bereit zu gehen, wenn sie gesehen worden sind.”
Casy Dinsing
Borderline mit Andrea Jobst-Heel am 9. November
Über Borderline sprach Andrea Jobst-Heel im GOLDKIND-Häuschen vor zehn Teilnehmer:innen am 9. November. Zunächst skizzierte die Fachärztin für Psychiatrie & Psychotherapie am Klinikum der Universität München den Zusammenhang zwischen traumatischen Kinderheitserfahrungen und psychischen Problemen. Vor allem emotionaler Missbrauch und emotionale Vernachlässigung können erheblich zur Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung beitragen; das geht aus Daten der AG Psychotherapieforschung hervor. Borderline-Patien:innen seien meist früh schwer bindungstraumatisiert worden. Weitere Faktoren sind eine genetische Veranlagung oder zwischenmenschliche Probleme.
Eine Borderline-Symptomatik ist eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, führt die Expertin aus. Das bedeute Instabilität hinsichtlich zwischenmenschlicher Beziehungen, Gefühle, des Selbstbilds und des (impulsiven) Verhaltens. Die Angst vor dem Verlassenwerden und das instabile Selbstbild können zu einem chronischen Gefühl der Leere führen, zu selbstverletzendem Verhalten oder zu heftigen Wutausbrüchen, sogar bis hin zu paranoiden oder dissoziativen Symptomen.
Im Erwachsenenalter kann das zu einem “desorganisierten Bindungsstil” führen. Das bedeutet: Betroffene glauben, dass die Welt bedrohlich ist und Menschen, von denen man abhängt, Teil der Bedrohung sind. Das wiederum führt zu einer Endlosschleife von verletzenden Situationen. Diese Achterbahn der Gefühle belastet Beziehungen dauerhaft.
Häufig tritt Boderline zusammen mit anderen Persönlichkeitsstörungen auf und die Übergänge von gesundem zu ungesundem Verhalten sind fließend.
“Du bist okay, deine Umwelt nicht.”
Vielen ist Borderline ein Begriff im Zusammenhang mit selbstverletzendem Verhalten. Andrea Jobst-Heel macht aber ganz deutlich: Letzteres ist nicht spezifisch einer Erkrankung zuzuordnen und kommt auch bei affektiven Störungen, Posttraumatischem Stress oder Angststörungen vor. Vor allem gehe es bei der Selbstverletzung darum, Anspannung abzubauen und sich selbst wieder zu spüren.
Behandelt wird die Borderline Persönlichkeitsstörung mit vielfältigen Mitteln: Die Erhöhung der Stresstoleranz und Emotionsmanagement, soziales Kompetenztraining und Achtsamkeitstraining gehören zu den wichtigen Bausteinen. Vor allem aber bedarf es, sowohl zu Prävention als auch zur Linderung, einer einfühlsamen Bezugsperson, die deutlich macht: “Du bist okay, deine Umwelt nicht.”
Das ist es, was die meisten psychischen Belastungen gemeinsam haben. Und wo die Angebote von GOLDKIND ansetzen.
Video-Zusammenfassungen der beiden Fortbildungsmodule findet ihr in Kürze hier auf unserer Website.
Am 13. Januar 2023 geht es weiter mit Diplom-Psychologin Livia Koller: Sie wird über Symptome und Folgen einer Borderline-Erkrankung sprechen. Anmeldungen sind noch möglich über unser Online-Formular.
+++ Gute Neuigkeiten für alle Interessierten außerhalb Münchens: Für 2023 planen wir, die GOLDKIND-Fortbildungen wechselnd in Präsenz bei uns im Häuschen sowie online anzubieten! Bleibt dran, konkrete Infos dazu folgen im neuen Jahr. +++