Fachbeitrag: Symptome der Angsterkrankung

Interview mit Professor Dr. med Peter Zwanzger

Angsterkrankungen sind weit verbreitet. 15 bis 25 Prozent der Menschen trifft es einmal in ihrem Leben. Professor Peter Zwanziger forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität zu dem Thema und ist zugleich erster Vorsitzender der Gesellschaft zu Angstforschung. Für GOLDKIND gibt er einen Überblick über die wichtigsten Fakten und erzählt, wie die Angsterkrankung eines Mitglieds die ganze Familie beeinträchtigen kann.

Wenn wir es richtig gelesen haben, ist Angst ist nicht gleich Angst. Sie unterscheiden nach verschiedenen Formen der Angst.

Zuallererst ist Angst etwas Natürliches. Sie schützt uns und verhindert, dass wir uns riskant verhalten. Erst wenn jemand zu stark, zu lange und zu oft auf Situationen reagiert, die keine reale Gefahr darstellen, sprechen wir von einer Angst-Störung. Dabei unterscheiden wir zwischen Ängsten, die einen konkreten Auslöser haben, also Phobien wie Klaustrophobie oder Agoraphobie, und Ängsten, die scheinbar ohne einen Anlass auftreten.

 

Wie zum Beispiel Panikattacken?

Ja, das wäre zum Beispiel die Panikattacke. Diese treten häufig ohne Anlass auf, quasi „out of the blue“, also aus heiterem Himmel. Das Herz rast, der Blutdruck steigt, die Patient:innen hyperventilieren und fühlen Beklemmungen. Bei diesen Symptomen denken sie zuerst an einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. In der Klinik wird dann sichergestellt, dass kein organischer oder neurologischer Schaden vorliegt, es wird genau geprüft, ob Schilddrüse und Herz normal arbeiten und ob keine Durchblutungsstörung vorliegt. Die Patient:innen werden komplett durchgecheckt. Zwar entlastet es sie in den meisten Fällen, wenn sie wissen, ihnen fehlt nichts. Aber erst dann kann man beginnen, sich mit der Diagnose Panikattacke richtig auseinanderzusetzen. Von einer Panikstörung im Sinne des Diagnosesystems ICD10 sprechen wir übrigens erst dann, wenn mehrfach innerhalb von 14 Tagen schwere Panikanfälle mit mindestens vier von 14 bekannten Angstsymptomen auftreten und diese mindestens fünf Minuten lang andauern.  

 

Und was versteht man unter einer generalisierten Angststörung?

Bei diesen Betroffenen herrscht eher eine grundsätzliche Angstproblematik vor. Für sie gibt es häufig keinen einzelnen konkreten Angstauslöser. Vielmehr macht sich jemand den ganzen Tag über andauernd und ausgeprägt Sorgen. Vielfach quält die Patient:innen dann die Angst vor der Angst: Sie haben beispielsweise Angst vor einer peinlichen Angstreaktion in der Öffentlichkeit. Eine generalisierte Angststörung und auch eine Phobie entwickeln sich eher schleichend, während Panikattacken meistens ganz plötzlich auftreten.

Angststörungen sind sehr verbreitet

Wie häufig sind Angststörungen eigentlich verbreitet?

Je nach Studie geht man davon aus, dass 15 bis 25 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens einmal eine Angstproblematik entwickeln. Panikattacken treffen immerhin 3,5 bis 4 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens. Die Symptome sind je Fall unterschiedlich stark ausgeprägt und einiges ist sicherlich auch nicht unbedingt behandlungsbedürftig, so zum Beispiel leichte Phobien.

Wie eine Angststörung den Alltag belastet

Aber eine Angststörung kann den Alltag auch massiv einschränken?

Ja, Panikstörungen zum Beispiel werden als hochgradig belastend erlebt. Oder wenn Patient:innen wegen ihrer sozialen Ängste die Wohnung nicht mehr verlassen, eine Familie nicht mehr in Urlaub fahren kann wegen der Furcht, ein Auto zu benutzen, dann kann das durchaus sehr belastend sein für die Betroffenen und deren Familie.

 

Was löst eine Angsterkrankung denn aus?

Die eine Ursache für eine Angsterkrankung gibt es nicht. Ihre Entstehung ist komplex. Wir gehen davon aus, dass drei Komponenten zusammenkommen müssen, sodass eine Angstproblematik entsteht. Das eine ist eine psychologische Komponente. Wir fragen, ob es stressauslösende Faktoren in der Lebenssituation der Patient:innen gibt, beispielsweise Trennungen, der Tod des Partners, Verlust des Arbeitsplatzes etc. Das zweite sind biologische Komponenten: Die Selbstregulationsfunktion im Gehirn ist hier nicht so gut ausgebildet wie bei anderen, die Kontrollfunktion der Hirnrinde über die Amygdala ist nicht so funktionsfähig. Dann gibt es noch eine genetische Komponente, also eine vorherige biologische Empfindlichkeit. Die Veranlagung zu einer Angsterkrankung wird nämlich häufig vererbt.

 

Wenn eine solche massive Einschränkung vorhanden ist, wie wird die Angststörung dann behandelt?

Angststörungen sind gut behandelbar. Prinzipiell können verschiedene Formen der Therapie angewandt werden, je nach Diagnose, Schweregrad und Vorgeschichte. Insbesondere bei den Angststörungen hat man umfassend untersucht, welche Therapieform die besten Erfolge erzielt. Dabei hat sich gezeigt, dass die kognitive Verhaltenstherapie am wirksamsten angewandt wird. Hier kommen verschiedene Module zum Einsatz, unter anderem auch die Exposition, also das Aussetzen der Patient:innen gegenüber ihren Angstauslösern. Manchmal reichen aber diese Maßnahmen allein nicht aus, dann wird zudem auch eine medikamentöse Therapie empfohlen.

Was eine Angststörung innerhalb des Systems Familie bewirkt

Tritt eine Angsterkrankung eigentlich immer nur allein für sich auf oder sind Ängste auch Symptome anderer Erkrankungen und psychischen Störungen?

Bei den Angststörungen gibt es eine hohe Komorbidität zu Depressionen, das heißt, dass beide Störungen gehäuft gemeinsam auftreten. Man vermutet bei beiden Krankheitsbildern, dass manche Menschen eine gewisse biologische Empfindlichkeit aufweisen, die sie dann eher Symptome entwickeln lässt. Der Überlappungsbereich ist ziemlich groß: Bei jungen Leuten tritt das noch nicht so deutlich zutage, aber bei älteren depressiven Patient:innen sind beispielsweise 30 bis 40 Prozent auch von einer Phobie betroffen. Bei Angsterkrankungen gibt es außerdem auch gewisse Überschneidungen mit Suchterkrankungen, was in der Therapie häufig übersehen wird, besonders dann, wenn Panikattacken als Entzugsphänomen auftauchen.

 

Wir alle sind ja alle keine isolierten Individuen, sondern meistens Teil eines Systems oder einer Familie. Wie wirkt sich eine Angststörung auf die Familie aus?

Im Allgemeinen begegnet man den Betroffenen mit Mitleid und nicht mit Aggressivität, das ist schonmal sehr hilfreich. Aber wenn ein Familienmitglied erkrankt ist, dann kann das eine große Belastung für die Familie darstellen. Der Partner oder die Partnerin fühlt sich im Alltag übermäßig eingeschränkt durch die Ängste des Betroffenen. Eine Angsterkrankung kann auch die Kinder der Betroffenen massiv beeinträchtigen, vor allem dann, wenn keine therapeutische Hilfe in Anspruch genommen wird.

 

Wann ist es denn notwendig, sich therapeutisch mit der Angst auseinanderzusetzen? Wie erkennt man im Umfeld die Red Flags?

Wenn der Alltag nicht mehr gut bewältigt werden kann, die Beeinträchtigungen innerhalb der Familie zu groß werden, dann sollte man sich Hilfe suchen.

 

Manchmal ist es aber doch eher so, dass die Betroffenen sich vor diesem Schritt scheuen?

Nach meiner Erfahrung nutzt keine Therapie etwas, wenn die Patient:innen das nicht selbst wollen und der Impuls dazu lediglich von außen kommt. Deshalb müssen sich Betroffene immer selbst melden. Aber auch wenn jemand diesen Schritt erst mal nicht gehen will, ist es wichtig, dass das Umfeld Verständnis zeigt, den Betroffenen weiterhin gut zuredet und den Kontakt zu ihnen nicht abbricht. Man sollte sich aber eventuell selbst Hilfe holen, um sich in dieser Situation konkret zu entlasten. Das verändert dann auch die Dynamik in einem familiären System und hilft damit indirekt auch den Patient:innen.

 

Zur Person Peter Zwanzger

Professor Peter Zwanzger ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt im Bereich Allgemeinpsychiatrie und Psychosomatische Medizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn. Darüber hinaus leitet Prof. Zwanzger den Forschungsbereich Angst und Angsterkrankungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und ist erster Vorsitzender der Gesellschaft für Angstforschung. Zu den wesentlichen Forschungsschwerpunkten von Prof. Zwanzger zählen die Entstehung und Behandlung von Angsterkrankungen und depressiven Störungen, Psychopharmakologie, Wirkmechanismen von Psychotherapie und Neurostimulationsverfahren.

 

Mehr zu Angststörungen: https://www.angstforschung.org/informationen

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