Das war die erste GOLDKIND-Konferenz: Prof. Dr. Johanna Löchner referierte zu Mental-Health-Apps in der Praxis: Künstliche Intelligenz und Teletherapie – was ist möglich? An der Universität Tübingen arbeitet sie seit Jahren an neuen Ansätzen in der Unterstützung der psychotherapeutischen Betreuung. Auf der Konferenz im Münchner ARRI-Kino gab sie einen kurzen Überblick über den Stand der Wissenschaft und der Wirkungsforschung zu Mental-Health-Apps und stellte einige eigene App-Entwicklungen vor.
„Wir haben Therapien, die wirksam sind. Aber der Zugang ist begrenzt.“ 4,5 Millionen psychologische Fachkräfte bräuchte es allein in den USA, um den Bedarf abzudecken. Mit diesem Ergebnis des „SAMSHSA-Report“ unterstrich Professor Dr. Johanna Löchner noch einmal die enorme Lücke, die heute bei der psychologischen Versorgung besteht.
Für ihre Doktorarbeit hatte die Juniorprofessorin der Universität Tübingen 100 Kinder und deren Familien begleitet, von denen mindestens ein Elternteil von Depression betroffen war. „Es war wahnsinnig schwer, 100 Familien zu finden, die bei unserem Präventionsprogramm mitmachen“, erinnerte sie sich – denn dies war zeitaufwendig und schambelastet. Deswegen habe man den Umkehrschluss gezogen: Wenn die Familien nicht zu den Programmen kommen könnten, dann müsse man eben zu den Familien gehen – auf digitalem Weg. Dieser Forschungsrichtung ist sie treu geblieben und lehrt nun an der Uni Tübingen.
Stand der Forschung
Zunächst gab die Wissenschaftlerin einen kurzen Überblick. Die Vorteile von Apps liegen auf der Hand: Sie sind ortsunabhängig. Zudem sind sie skalierbar, vergleichsweise kostengünstig, anonym, kulturell und sprachlich adaptierbar und niederschwellig (bei einer Smartphone-Verbreitung von 95 Prozent). Zu unterscheiden wären sogenannte Digital Help Interventions (DHI, der Fachbegriff für die Mental-Health-Apps) nach
- Blended Apps – hier steht noch ein Therapeut oder ein Coach im Hintergrund – und
- Self-help-Angeboten, die allein genutzt werden.
Bereits heute stark verbreitet sind die Telepsychotherapie und Interventionen via Text-Messages. Mögliche zukünftige Anwendungsgebiete sind aber neben Apps verbreitete Accessoires wie Wearables (etwa Fitness-Armbänder und -uhren), Anwendungen für Virtual/Augmented Reality und für Chatbots. Bei Letzteren kommt sukzessive Künstliche Intelligenz (KI) stärker zum Einsatz.
Die Verbreitung von Health-Apps ist bereits jetzt enorm, zeigte die Wissenschaftlerin auf: 65 Prozent der Deutschen nutzen eine oder mehrere der 50.000 mHealth-Angebote, so beispielsweise Meditations-Apps oder zum Stimmungsmonitoring. Professor Löchner gab gleichzeitig zu bedenken: „Aber nur 2,08 Prozent haben öffentliche Wirksamkeitsnachweise. Da ist noch viel Luft nach oben.“ Die Entwicklung von Medizin-Apps boomt und „viele wittern das große Geld“, warnte die Expertin und rief dazu auf, unbedingt Fachleute in die Entwicklung einzubinden.
Können die Apps tatsächlich helfen?
Die umfangreiche Studienlage heute kann die Wirksamkeit belegen, sagte die Dozentin. Gerade bei kognitiver Verhaltenstherapie habe eine Meta-Analyse bewiesen, dass kein Unterschied zwischen Face-to-Face und Online-Therapie besteht. Mittlere Effektstärken gebe es, wenn man Digital Health Interventions generell erfasse. Professor Löchner: „Kommt noch ein Coach oder ein Therapeut hinzu, dann profitieren die Patient:innen noch mehr davon.“ Im Kinder- und Jugendbereich sei die Datenlage zur Wirksamkeit von DHIs dünner, sagte Professor Johanna Löchner. Aber auch hier erzielen Apps nachweislich positive Effekte bei Angst und depressiven Störungen, bei Verhaltensauffälligkeiten, bei Somatisierungsstörungen und in der Prävention.
Eigene Entwicklung und Studien
Im Anschluss stellte Prof. Dr. Johanna Löchner Ergebnisse aus eigenen Studien und Projekten vor. Beim EcoWeb-Projekt wurde eine App entwickelt zur Prävention psychischer Erkrankungen durch die Steigerung emotionaler Kompetenz. 3800 junge Menschen haben daran teilgenommen, ihre Stimmungslage einem Mood-Tracker anvertraut, ein Sprachtagebuch geführt, das anschließend analysiert wurde. Eine signifikante Verbesserung habe diese App nicht gebracht, wohl aber eine zusätzliche Begleitanwendung, in der klassische Werkzeuge aus der Therapie zum Einsatz kamen. Hier waren deutliche Verbesserungen zu erkennen.
Derzeit arbeitet Prof. Dr. Johanna Löchner an einem Projekt mit Digital Phenotyping und KI. Beim Digital Phenotyping werden verschiedene Informationen im Alltag gesammelt und ausgewertet, zum Beispiel durch aktive Schlaf-Protokolle oder auch durch Sensing-Methoden, wo physiologisch beispielsweise Blutdruck und Hautleitfähigkeit gemessen werden. Auch wie und mit welchen Berührungen und Gesten ein Handy genutzt wird, lässt Aufschlüsse über den emotionalen Zustand der Anwender:innen zu. Dies könne man zum Beispiel bei der Prävention von Depression nutzen.
In diesem Zusammenhang warb Professor Johanna Löchner dafür, die Prävention psychischer Gesundheit ebenso zu behandeln wie Zahnvorsorge: mit steter Begleitung (Kontrolluntersuchungen), Aufklärung und, wo nötig, folgender Intervention.
Abschließend fasste sie zusammen, wo die Grenzen und die Entwicklungsräume von DHIs liegen: „Ich denke es braucht klare rechtliche und ethische Rahmenbedingungen. Wir müssen eine gute methodische Qualität, Datensicherheit und Transparenz herstellen können. Und wir müssen schauen, was braucht denn eigentlich unsere Zielgruppe?“ Nötig sei hier eine Vielzahl von Angeboten.
Die vollständige Präsentation zum Nachlesen: Goldkind_Johanna Löchner